Es hat ein bisschen Geschmäckle, wenn ich vorvergangene Woche über die eigene erreichte Zertifizierung jubele und heute über einen Anbieter von Projektmanagement-Lehrgängen ablästere, der mit seinem Zertifikat bei Absolvieren der Prüfung wirbt. Dieser Anbieter zeigt jedoch eine gewisse Kontinuität beim Anbieten von fragwürdigen Seminaren. Aber der Reihe nach.

Besagter „renommierter“ Anbieter von beruflicher Weiterbildung zählt „Fach- und Führungskräfte aus allen Branchen“ zu seinen Kunden, die allesamt „den hohen Standard, den Praxisbezug und die enge Vernetzung mit Entscheidern aus der Wirtschaft“ schätzten.

Bereits im Juli war mir ein Werbeflyer ins Haus geflattert, der vollmundig mit dem Titel „Projektleiter über Nacht“ geworben und den Teilnehmern das Thema „auf das Wesentliche reduziert“ versprochen hatte. In der nun neu vorliegenden Broschüre geht es immerhin um einen Fern-Kurs mit zehn Lerneinheiten mit „durchschnittlich 80 Seiten“ mit „didaktisch aufgearbeiteten“, „exklusive

[m] Know-how“. Alle vierzehn Tage kommt das Päckchen mit den neuen Unterlagen und bietet „aktuellstes Projektmanagement-Know-how von renommierten Experten“ und bietet so eine Weiterbildung ohne „Lerndruck“, Fehlzeiten und Reisekosten. Boah, ich bin beeindruckt!

Welchen Nutzen haben proprietäre Zertifikate?

Sind sich die Menschen, die diese Seminarangebote konzipieren und unter einem Dach anbieten, eigentlich der Wirkung auf ihre Zielgrupe bewusst? Beide Angebote versprechen den gleichen Nutzen, nämlich erfolgreiche Projekte ab Absolvierung des Seminares. Nur dass man für das eine Seminar zwei Tage Intensiv-Training investiert und sich beim anderen über 20 Wochen hinweg mit dem Thema beschäftigen muss. Am Ende winkt dafür ein Zertifikat – natürlich keines von einem der etablierten PM-Standards (PMI, IPMA, Prince2), sondern ein hauseigenes des Anbieters. Dessen Anerkennung auf dem Markt? Zumindest zweifelhaft.

Über den Sinn und Zweck von Zertifikaten kann man grundsätzlich geteilter Meinung sein. Im Prinzip handelt es sich nur um den Nachweis, dass man zum Zeitpunkt der Prüfung das geforderte Mindestwissen wiedergeben konnte. Da Wissen aber vergänglich ist, ist das Zertifikat ohne Anwendung und Praxis schon nach kurzer Zeit nichts mehr wert. Es ist ja auch nicht der Führerschein, der einen zum guten Autofahrer macht, sondern die intensive Fahrpraxis.

Wenn man sich aber schon für eine Ausbildung mit anschließender Zertifizierung entschließt, um seinen Stellenwert auf dem Arbeitsmarkt zu dokumentieren, dann sollte es ein Zertifikat eines anerkannten  Standards sein. Die einschlägigen PM-Standards basieren auf den best practices Tausender von Anwender und werden regelmäßig aktualisiert. Sie sind unternehmensunabhängig und branchenneutral und werden weltweit anerkannt. Im Zuge von Rezertifizierungen muss regelmäßig der Praxisbezug und die Erfahrung im Zertifizierungsgegenstand erneut bewiesen werden. Wer als Arbeitgeber z.B. einen PMI-zertifizierten PMP anstellt, der weiß, was er fachlich von seinem neuen Mitarbeiter erwarten kann.

Angebot und Nachfrage – auch auf dem Weiterbildungsmarkt

Wer hingegen diesen Lehrgang bucht, erhält im Gegenzug zehnmal 80 Seiten Papier, das von einem bunt zusammen gestellten Autorenteam beschrieben wurde. Rechnet man den Preis von 1.595,– € netto auf die Seitenzahl herunter, dann bekäme man anderenorts dafür einen wahren Berg an hochwertiger Management-Literatur – ich meine – richtige, wirksame Bücher.

Aber vielleicht hat das John Ruskin zugeschriebene Zitat ja doch Recht, dass es „kaum etwas auf dieser Welt [gibt], das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte“ und dass „die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, […] die gerechte Beute solcher Machenschaften“ werden.